Pausetaste
- Tamara Schwarzmüller

- 2. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Sept.

Wie sieht dein Film aus, der gerade bei dir läuft? Worum geht es? Wer spielt die Hauptrolle? Wer sind die Nebendarsteller? Was für Emotionen erweckt er in dir? Gefällt dir dein Film?
Vielleicht stellst du dir gerade innerlich die Frage von was für einem Film ich spreche. Du liest ja gerade diese Zeilen und schaust keinen Film. Ich möchte dir heute sagen, dass du vielleicht gerade keinen Film anschaust, aber dass es da einen Film in dir gibt, der womöglich ununterbrochen läuft, egal was du tust, dieser Film ist in dir. Er ist in uns allen und du bist die Hauptrolle und zugleich Zuschauer*in.
Was siehst du? Was tust du? Bist du glücklich? Unser Alltag nimmt die meiste Zeit unseres Lebens in Anspruch. Wenn wir das auf deinen Film übertragen, wirst du feststellen, dass es nahezu rund um die Uhr um deinen Alltag geht. In deinem alltäglichen Leben hast du dir bewusst oder unbewusst ein gewisses Mindset aufgebaut, das von bestimmten Gefühlen und Emotionen abhängt, die dir vertraut sind und dich in deiner Komfortzone halten.
Oft vergessen wir in diesem Zustand, dass wir als Hauptrolle und Zuschauer*in die Möglichkeit haben den Film zu unterbrechen, indem wir innerlich zur Fernbedienung greifen und die Pausetaste drücken. Ich glaube, dass es von Zeit zu Zeit essenziell ist diese Taste bewusst zu drücken und aus dem eigenen Film auszusteigen. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns erst mit ein wenig Abstand vom Alltag die wichtigen Fragen über unser Dasein und den Sinn des Lebens stellen können und darauf eine Antwort finden. Ich bin davon überzeugt, dass die verrücktesten Ideen, die größten Träume und Erfolgsgeschichten nur dann zum Leben erweckt werden konnten, als jemand ganz bewusst die Pausetaste gedrückt hat.
Wenn das Leben die Pausetaste drückt
Wenn wir als Mensch zu lange unseren Film am Laufen hatten, der Film nicht gerade rosig verläuft und wir dennoch an ihm festhalten möchten, kann es sein, dass das Leben die Fernbedienung in die Hand nimmt und die Pausetaste drückt. Das Leben kommuniziert immer durch Zeichen und Signale mit uns, nur verstehen wir sie manchmal im ersten Moment nicht oder möchten sie ganz bewusst übersehen. Die Pausetaste wird dann gedrückt, wenn du beispielsweise immer mal wieder mit einer Erkältung, Grippe oder Migräne im Bett liegst, sich die Umstände in einem Lebensbereich ändern oder du gezwungen bist dich auf irgendeiner Art und Weise einer Veränderung zu unterziehen. Als Hauptrolle in deinem Film wirst du dann in eine Art Zwangsurlaub versetzt. Es gibt aber auch Momente im Leben, in denen du als Hauptrolle deine Kündigung in der Hand hältst und nicht mehr zurück zu deinem Film kannst.
Wenn aus der Pausetaste die Stopptaste wird
Das sind die Momente, die uns dazu zwingen einen Schlussstrich zu ziehen und unseren derzeitigen Film ein für alle Mal hinter uns zu lassen. Die Pausetaste wird zur Stopptaste und es gibt kein Zurück mehr. Plötzlich wird der Film unterbrochen. Und er wird nicht einfach unterbrochen, das Bild auf der Leinwand friert nicht ein, es ist weg. Der Film wurde beendet, ohne dass ein plausibles Ende in Sicht war.
Die Stopptaste versetzt uns Menschen oft in einen freien Fall. Es sind die Momente, die uns als Mensch prägen. Momente, die sich in uns einbrennen und mit einer schweren emotionalen Komponente einhergehen. Alle Regeln und Gesetze, die wir uns selbst auferlegt haben, fallen in solch einem Moment weg. Es gibt nichts mehr, an dem wir uns festhalten können, nichts was vorher von Bedeutung war, hat noch seine Berechtigung. Die Stopptaste bringt uns zurück zu den Einstellungen, die im Hintergrund des Films programmiert wurden. Und dann werden wir mit so vielen Fragen konfrontiert, die während dem Film so sehr in Vergessenheit geraten sind. Welche Motivation steckt hinter der Handlung? Wie ist die Beziehung zwischen der Hauptrolle und den Nebendarstellern? Liebevoll und friedlich oder gestresst, gereizt und wütend?
Replay ist keine Option
Wenn einmal im Leben die Stopptaste gedrückt wurde, kann der Film nicht einfach so weitergehen wie bisher. Es macht einfach keinen Sinn auf Play zu drücken und den Film von vorne zu beginnen und an den alten Drehorten zu verharren.
Die Stopptaste bringt eins mit sich: Veränderung und Ungewissheit. Wahrscheinlich verliert das alte Drehbuch seinen Wert, manche Drehorte verlieren ihren Charme, Nebendarsteller ihren altbewährten Posten. Und dann gleicht das Filmset einem leeren Raum. Ein Raum, der zwar leer ist, aber neu befüllt und dekoriert werden kann. Am Filmset ist auf einmal Platz für neuen Visionen, neue Gedanken, neue Möglichkeiten und Erkenntnisse.
Wenn die Stopptaste zum persönlichen Wendepunkt wird
Bei mir hat das Leben mehrere Mal meinen Film unterbrochen und mir als Hauptdarstellerin die Kündigung in die Hand gedrückt. Anfang 2020 war es mal wieder soweit. Ich befand mich in den letzten Monaten meiner Ausbildung als Europasekretärin, als ich so depressiv wurde, dass meine Psychologin zu dieser Zeit entschied mich aufgrund eines Burnouts erstmal viele Wochen krankzuschreiben.
Wenn Tiere unser Spiegel sind, dann ist meine Stute Destiny mein Spiegel in Lebensgröße. In der Zeit, in der es bei mir immer mehr bergab ging und ich mit meiner Hündin Honey für Spaziergänge in den Wald flüchtete, hatte Destiny auf einmal Schmerzen und konnte fast nicht mehr richtig galoppieren. In der Pferdeklinik wurde dann die Vermutung auf Spat zu unserer neuen Realität. Danach schlug mein Bewegungsdrang zur absoluten Erschöpfung um und die nächsten Wochen haben wir uns gemeinsam nur im Schneckentempo durch den Wald bewegt. Uns beiden fiel es so schwer wieder in Bewegung zu kommen. Trotzt Antidepressiva war ich psychisch und körperlich am Ende meiner Kräfte und die kleinen Selbstverständlichkeiten des Alltags wurden zur größten Herausforderung.
Ich habe die Monate davor einfach nicht realisiert wie sehr ich mich im Leistungsdruck und in den scheinbaren Erwartungen der anderen verloren habe. Ich wollte einfach nur noch vor allem und jedem flüchten und in Bewegung bleiben. Ich habe nicht wahrgenommen, was sich unter diesem Fluchtreflex verbirgt. Heute bin ich überzeugt davon, dass diese Monate unheimlich wichtig waren. Es war mein persönlicher Wendepunkt.
Nach einer gescheiterten Beziehung war ich dann wieder alleine und Corona kam um die Ecke. So traumatisierend diese Zeit für uns alle war, war sie für mich zugleich ein Segen. Im Lockdown, in dem das Leben der anderen stillstand, hat mein Leben erst so richtig an Fahrt aufgenommen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich nichts mehr zu verlieren habe und mit Pferd und Hund an meiner Seite war für die tierische Begleitung gesorgt.
Die Bedeutung der Nebendarsteller
Wie heißt es so schön? Wenn ein Mensch dein Leben verlässt, kommt jemand Neues. So war es auch und durch diesen Menschen ergab sich für mich die Möglichkeit in eine ganz neue, bunte und freie Welt einzutauchen. Die meisten würden diese Welt „Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung“ nennen. Ich nannte sie damals: „Jetzt fängt das Leben erst so richtig an.“
Ich glaube, dass manche Menschen in unsere Leben kommen, um uns neue Wege und andere Perspektiven aufzuzeigen. Ich hatte zu dieser Zeit so einen Menschen an meiner Seite. Einen Menschen, der anders dachte, anders fühlte und anders lebte wie ich. Oftmals sind genau solche Menschen ein Türöffner und bei mir gingen plötzlich ganz viele Türen auf. Nach fast zehnjähriger Therapie hatte ich das Gefühl, dass ich mich wirklich mal mit mir selbst, meinen Gefühlen, Bedürfnissen und Träumen auseinandersetzen konnte.
Plötzlich war ich unterwegs auf Ausflügen, habe öfter die französische Grenze passiert als in Zeiten, in denen kein Lockdown im Land herrschte und habe entweder ein Croissant auf dem Supermarktparkplatz genossen oder mitten im Nirgendwo ein Baguette mit Käse im Auto verspeist. Zur ultimativen Krönung lies ich mich von einer Zugfahrt bei sommerlichen Temperaturen inklusive Maskenpflicht nicht abbringen. Ich war dann mitten in den Bergen Südfrankreichs bei einem kleinen Örtchen namens Mialet im Fluss baden, umgeben von Felswänden und der Energie von Entschleunigung, Zeitlosigkeit und Ursprünglichkeit. Mein Leben war in dieser Zeit nicht perfekt, aber es gab Momente, in denen ich aus vollem Herzen lachen konnte und sich das schwere, depressive Leben leicht und unbeschwert angefühlt hat.
Neue Handlung, neuer Drehort, neue Möglichkeiten
Wenn man über Menschen zu Menschen gelangt, kann man von ihnen lernen und sich die wirklich wichtigen Fragen im Leben stellen: Wer bin ich? Wie möchte ich leben? Was sind meine Träume und nach welchen Werten möchte ich mein Leben gestalten?
Meine Antwort darauf war damals noch nicht konkret, lautete aber wie folgt: Ich möchte auf keinen Fall als Europasekretärin im 5. Stock eines Hochhauses sitzen und bei einem Großunternehmen angestellt sein, das nur auf Profit und Leistung aus ist. Denn jeder der mich kennt weiß: Wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich immer für die staubigen Stallschuhe, die bequeme Reithose und die nach Pferd lieblich duftende Weste, im Gegensatz zu Stöckelschuhen, einer bügelfaltenfreien Bluse und Make-Up im Gesicht. Alles andere würde sich für mich wie dauerhafter Fasching anfühlen.
Nachdem diese Erkenntnis in mir als Hauptrolle wirklich auf dem Boden meines Seins gelandet ist und alle relevanten Nebendarsteller informiert wurden, ging es nach meinem Abschluss dennoch auf Jobsuche. Parallel dazu zog es mich immer mehr in die Welt der Energiearbeit. Seit dieser Zeit erhielt ich vom Leben viele Einladungen mich noch tiefer mit dem zu beschäftigen, wofür mein Herz wirklich brennt und so kam eins zum anderen.
Wenn die Hauptrolle das Drehbuch schreibt
Was ich dir mit meiner Geschichte erzählen möchte: So schmerzhaft es ist, wenn das Leben bei dir plötzlich die Stopptaste drückt. Gib nicht auf. Versperre deinen Blick nicht für die Menschen, die dich umgeben und halte dein Herz offen für neue Begegnungen. Auch wenn du manchmal das Gefühl hast, dass das Leben scheinbar gegen dich handelt, nicht auf deiner Seite ist, dir schaden möchte oder du in dem Glauben gefangen bist, dass du nicht in diese Welt hineinpasst – das Leben schenkt dir einen Wendepunkt. In Momenten, in denen du verzweifelt bist und das Gefühl hast, alles verloren zu haben, steht das Leben hinter dir und schreit: Geh weiter, sieh dich um, was willst du wirklich?
Ich möchte dich ermutigen nicht jeden Tiefpunkt in deinem Leben als ein Stoppschild zu sehen. Jeder Tiefpunkt gibt dir die Möglichkeit dich auf den Weg zu machen dich selbst zu finden und dir dabei folgende Fragen zu stellen: Was will ich wirklich in meinem Leben und was bin ich hierfür bereit zu verändern? Welche alten Muster und Gewohnheiten haben schon längst ausgedient und welcher Lebensbereich braucht frischen Wind? Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeit an dir selbst niemals umsonst ist. Jedes Mal, wenn du dich mit dir selbst beschäftigst, wirst du mehr zu dem Menschen, der du in Wahrheit bist. Und dann wirst du feststellen, dass du in deinem Film aktiv die Handlung gestaltest. Ganz langsam entsteht ein Film, in dem du nicht nur die Hauptrolle spielst. Du bist die Regisseurin / der Regisseur. Du schreibst aktiv dein Drehbuch und lässt es zum Meisterwerk deines Lebens werden.



Welch wunderschöne Worte, ich habe mich an mancher Stelle wiedergefunden.😍
Ich freue mich auf weitere berührende Texte von dir.☺️
Liebe Tamara, vielen lieben Dank für deine ehrlichen und offenen Worte. Auch mein Leben hat die Stopptaste schon öfters gedrückt. Und ich habe immer erst im Nachhinein erkannt, wohin mich das im positiven Sinn gebracht hat.
Ein wunderschöner Text😊